Omnibus-Infos » Setra
Setra S 6
20.04.2015 - 14:00

Setra S 6


4 Jahre nach Erscheinen des ersten Setra, dem Setra S 8, stellte die Firma Kässbohrer auf der IAA 1955 ihr neuestes Modell, den S 6 vor. Hatten sich auch die großen Busse inzwischen auf dem Markt durchgesetzt, so klaffte im unteren Segment immer noch eine Lücke. Diese wurde zwar durch Busse auf Lieferwagenfahrgestellen mehr schlecht als recht abgedeckt, aber befriedigend, besonders für die Busunternehmer und deren Fahrgäste war das nicht. So kam es, dass man bei Kässbohrer mit Hochdruck an diesem neuen Bus gearbeitete hatte. Dass er, wie seine großen Brüder, über ein selbsttragendes Fahrgestell verfügen musste, war von Anfang an klar. Mehr Probleme machten dagegen die Konstruktion von Achsantrieb, Fahrwerk und Federung. Hier konnte nicht auf die Konstruktionen der großen Busse zurückgegriffen, es musste etwas völlig neues erschaffen werden.


Das Antriebsaggregat (Motor, Getriebe, Differential und Hinterachse) als eine Einheit

So kam man auf die Idee, Motor, Getriebe, Differential und Hinterachse zu einer Einheit zusammenzufassen. Schwieriger wurde es dagegen schon mit der Federung. Hier griff man auf ein Schweizer System zurück.

Die schweizer Waggonfabrik Schlieren benutzte Gummifederelemente nach dem System Neidhart. Hierbei sitzt in einem quadratischen Außenrohr ein über vier Gummistäbe zentrierter AL-Nocken. Durch Verdrehung des Außenrohrs werden die Gummistäbe gequetscht und somit eine Federung hervorgerufen. Die Kässbohrer-Ingeniuere adaptierten diese Idee und bildetet die quadratischen Außenrohre als Dreieckslenker aus, an denen die Räder einzeln aufgehängt wurden.

Damit war der Setra S 6 einer der ersten Omnibusse, die über eine komplette Einzelradaufhängung verfügte.

Für den Antrieb wurde ein 4-Zylinder Henschel-Motor (Typ 517 D 4) verwendet. Er leistete 85 PS bei 2.500 U/min und hatte einen Hubraum von 4.084 ccm. Später wurde er durch ein 90 PS leistendes Aggregat ersetzt. Als Getriebe wurde das teilsynchronisierte AK 5-33 von ZF eingebaut, bei dem die Gänge 2 bis 5 synchronisiert waren. Bedient wurde das Ganze über eine Lenkradschaltung, eine Variante, die sonst im Busbau unüblich war.


Trotz der kompakten Maße von 2,25 m Breite und 6,70 m Länge fanden die Fahrgäste einen großzügigen Innenraum vor. Durch eine Dacherhöhung im Mittelgang konnte eine Innenraumstehhöhe von 1,85 m erreicht werden. Die vorne rechts angebrachte Schlagtür ermöglichte zudem einen ziemlich problemlosen Ein- und Ausstieg. Die Fachpresse urteilte dann auch:
"Zusammenfassend möchten wir deshalb den Setra S 6 als einen komfortablen Omnibus der kleinen Klasse in Luxusausführung mit geschmackvoller und überaus zweckmäßiger Innenausstattung bezeichnen. So recht ein Fahrzeug für verwöhnte Reisende im Ausflugsverkehr. Seine Fahreigenschaften sind lobenswert und denen eines Pkw sehr ähnlich. Alles in allem übrigens eine solide, durchdachte Arbeit."

Soweit die Fachkritiker aus LAST-AUTO und OMNIBUS.

Bilder aus einem Werbeprospekt zeigen
den Innenraum,
sowie den Einstieg.

Wurden anfangs noch 25 Fahrgastsitze angeboten, so reduzierte sich diese im Laufe der Zeit auf 21, weil Kässbohrer aufgrund der größeren und besseren Sitze kurzerhand eine Reihe aus dem Bus verbannte. Auch das etwas knapp bemessene Fassungsvermögen des Kofferraums von 1,6 cbm konnte erweitert werden. Zwar nicht der Kofferraum selbst, aber die Kapazität mittels einer schmucken Dachgalerie. Diese konnte über eine heckseitig angeordnete, klappbare Leiter erreicht werden.

Das sich der S 6 trotz weniger Fahrgäste noch wirtschaftlich betreiben ließ lag auch daran, dass der Bus nur ca. 12 l Diesel auf 100 km verbrauchte. War der Bus mit dem zur Sonderausstattung gehörenden Zusatztank ausgestattet, standen 150 l Treibstoff zur Verfügung. Das reichte für einen Aktionsradius von gut 1.200 km.

Von Anfang an war der S 6 auch ein wirtschaftlicher Erfolg für den Hersteller. Trotz seines relativ hohen Kaufpreises von ca. 34.000 DM fanden sich viele Busunternehmer, die diesen Bus kauften. Schon im ersten Jahr der Serienfertigung 1956 wurden über 170 Busse verkauft und bis zum Ende im Jahr 1964 summierte sich diese Zahl auf 1170 Stück.

Mitverantwortlich für den Erfolg war aber auch, dass der S 6 für spezielle Kundenwünsche modifiziert werden konnte. Das reichte von einer zweiten Einstiegstür, wie sie in Frankreich vorgeschrieben war, bis hin zu speziellen Linienversionen wie sie die BVG in Berlin benötigte.


Eines der seltenen Exemplare mit einer zweiten Einstiegstür kurz vor der Hinterachse

Auffallend an diesem Bus ist ebenfalls, dass er die ganzen Jahre fast unverändert gebaut wurde. Die Modifikationen betrafen fast ausschließlich die Technik des Fahrzeuges. Die wichtigste hierbei war wohl die neu konzipierte Gummidrehfederung. Man hatte bei der Neidhart-Federung erkannt, dass sich die Gummistäbe innerhalb des Vierkantrohres verschieben konnten und deshalb eine Beeinträchtigung der Federung herbeiführten. Deshalb bekam der S 6 jetzt eine Torsionsfederung. Diese basierte ebenfalls aus der Verdrehung von Gummielementen, doch waren diese jetzt miteinander vulkanisiert, was ein Verschieben verhinderte.

Außerdem erhielt der Bus nun einen druckluftunterstützten Bremskraftverstärker. Die bis dahin produzierte Druckluft diente nur zur Betätigung der Motorbremse. Weiterhin wurde die Außenbeplankung nicht mehr in Aluminium, sondern in Stahlblech ausgeführt. Äußerlich wanderten nur die Blinkleuchten, die über den Scheinwerfern angebracht waren, nun an den unteren Rand der A-Säule. Die Scheinwerfer wurden geringfügig kleiner und die Heckleuchten erhielten räumlich voneinander getrennte Blink- und Schlussleuchten.

Anfang der 60ger Jahre mehrten sich die Rufe der Kunden nach einer stärkeren Motorisierung. Kässbohrer experimentierte daraufhin mit zwei Prototypen, die verlängert waren und die Bezeichnung S 6 L erhielten. Sie waren mit einem Henschel-Sechszylinder ausgestattet, der 125 PS leistete. Dieser Typ sollte die Weiterentwicklung des S 6 sein. Bei ausgedehnten Fahrversuchen stellte man jedoch fest, dass sich das Spurverhalten als recht ungünstig erwies. Daraufhin stellte man weitere Versuche mit diesem Fahrzeug ein und konzentrierte sich ganz auf den Nachfolger, dem neuen S 7.


Nicht immer ging alles glatt

Obwohl der S 6 die ganzen Jahre fast unverändert gebaut wurde und er am Ende, nach der Einführung des Baukastensystems und dem neuen äußeren Erscheinungsbild der großen Busse, ziemlich allein im Produktionsprogramm stand, war seine Beliebtheit so gut wie ungebrochen.

Das lag auch zum Teil daran, dass es keine vergleichbaren anderen Busse in seiner Größe gab. Zwar hatte inzwischen die Firma Harmening in Bückeburg ein ähnlich großes Modell herausgebracht, das nach der Übernahme durch die FAKA-Werke als FAKA-Clubbus noch bis in die 60ger Jahre gebaut wurde. Doch dessen schwülstiges Erscheinungsbild hatte gegen den zeitlosen Setra keine Chance.

Das Ende der Produktion des Setra S 6 wurde von den Kunden sehr bedauert und führte 1965 zur Einführung des neuen Kleinbusses Setra S 7, der nun seinen so erfolgreichen Vorgänger ablösen sollte. Der S 6 ging in die Geschichte des Hauses Kässbohrer als der kleinste jemals gebaute Setra ein. Von seinen Verehrern wird er liebevoll "Baby-Setra" genannt, von den anderen auch als "Bonsai-Setra" tituliert. Das tat aber seinem frühen Klassikerstatus keinen Abbruch, im Gegenteil. Dieser hat inzwischen schon Kultstatus erreicht und dafür gesorgt, dass so viele Setra S 6 dem Schrottplatz entkommen sind.


Eine Zeichnung aus dem ersten S 6 Prospekt. Die Proportionen stimmen hinten und vorne nicht, aber das war in den fünfziger Jahren durchaus üblich.


Technische Daten – Setra S 6 (Typenblatt)

Fotos:
Kässbohrer Fahrzeugwerke GmbH
Omnibusarchiv


admin


gedruckt am 19.04.2024 - 19:37
http://www.omnibusarchiv.de/include.php?path=content&contentid=20