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Vor Über 30 Jahren: ABS ist serienreif *
03.02.2009 - 00:00

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Vor über 30 Jahren: ABS ist serienreif

Ausweitung auf Nutzfahrzeuge: Nach der Weltpremiere im Personenwagen im Jahr 1978 präsentiert Mercedes-Benz 1979 einen Reisebus mit Anti-Blockier-System.

Im August 1978 stellt Mercedes-Benz das gemeinsam mit Bosch entwickelte Anti-Blockier-System (ABS) der zweiten Generation in Untertürkheim der Presse vor. Die Weltneuheit erhält die Lenkfähigkeit eines Fahrzeugs auch bei Vollbremsungen. Ab Dezember des gleichen Jahres ist sie zunächst in den Limousinen der Mercedes-Benz S-Klasse (Baureihe 116) verfügbar.

Acht Jahre zuvor hat im Jahr 1970 das gemeinsam mit TELDIX entwickelte Anti-Blockier-System der ersten Generation für Pkw seine Weltpremiere erlebt. Damit ist ABS gleichzeitig ein Beispiel für den mitunter langen Atem, der notwendig ist, um ein Produkt zur Serienreife zu bringen – eine Verantwortung, der sich die Marke Mercedes-Benz mit ihren zahlreichen Innovationen immer wieder stellt.

Entwicklung über Jahrzehnte

Ein Anti-Blockier-System gehört schon seit Jahrzehnten zu den Wunschvorstellungen der Automobil-Konstrukteure, könnte es doch die Fahrsicherheit drastisch erhöhen, indem die Lenkfähigkeit bei Vollbremsungen erhalten bleibt. Bereits 1928 erhält der Deutsche Karl Wessel ein Patent auf einen Bremskraftregler für Automobile – es kommt allerdings über das Papierstadium nicht hinaus.

1941 erproben Versuchsfahrer einen Blockierregler, über den das „Automobiltechnische Handbuch“ lapidar berichtet, dass „nur bescheidene Erfolge erzielt wurden“.

Diese ersten Versuche allerdings weisen den Weg: Ein Anti-Blockier-System muss über Sensoren verfügen zur Messung der Raddrehung an jedem Vorderrad sowie über ein Steuergerät zum Registrieren und Vergleichen der Sensormessungen. Dieses Steuergerät soll unerlaubte Abweichungen korrigieren, indem es den Bremsdruck an jedem Rad bis unmittelbar vor dem Blockieren des Rades individuell regelt.

Die Umsetzung für die Straße gestaltet sich jedoch wesentlich schwieriger als erwartet. Zwar arbeiten entsprechende Sensoren schon 1952 zufriedenstellend als Anti-Skid-System bei Flugzeugen und 1954 im „Knorr-Gleitschutz“ für die Eisenbahn.

Aber im Auto wird den mechanischen Reibradsensoren viel mehr abverlangt: Sie müssen Drehverzögerungen und -beschleunigungen registrieren, bei Kurvenfahrt und Bodenunebenheiten zuverlässig sein und auch bei starker Verschmutzung und hohen Temperaturen fehlerfrei arbeiten.

Induktion statt Mechanik

Nicht nur bei Daimler-Benz arbeiten Ingenieure an diesem Problem, sondern auch bei der TELDIX GmbH in Heidelberg. Mit den mechanischen Sensoren kommen beide Unternehmen nicht weiter, eine andere, neue Lösung wird gesucht.

In gemeinsamen Anstrengungen finden sie 1967 die Lösung des Problems in berührungslosen Drehzahlgebern, die das Prinzip der Induktion nutzen. Ihre Signale soll eine Elektronik auswerten, die über Magnetventile die Regelung des Bremsdruckes steuert.

Die Elektronik arbeitet zu diesem Zeitpunkt noch auf Basis der relativ anfälligen Analogtechnik und mit komplizierten Schaltkreisen. Integrierte Bauteile gibt es noch nicht. Trotzdem: Es zeigt sich ein erster erfolgversprechender Ansatz.

Daher stellt Daimler-Benz diese erste Generation eines Anti-Blockier-Systems für Pkw, Lkw und Omnibusse am 12. Dezember 1970 auf der Versuchsbahn in Untertürkheim der Weltöffentlichkeit vor – mit nachhaltigem Widerhall einer begeisterten Fachwelt und Presse. Das Prinzip überzeugt.

Der Weg zum serienreifen ABS

Bis Daimler-Benz ein funktionssicheres Anti-Blockier-System in Serie anbieten kann, vergehen nochmals acht Jahre, um dem Prototyp den Grad der technischen Reife und Zuverlässigkeit zu verleihen, der nun einmal für eine Serienfertigung unabdingbar ist. Zu Hilfe kommt den Ingenieuren die Revolution der Elektronik. Erst die Erfindung integrierter Schaltkreise erlaubt es, robuste, kleine Computer zu bauen, die in Minimalzeit die Daten der Radsensoren erfassen und die Ventile zur Regulierung des Bremsdruckes zuverlässig ansteuern.

Es dauert fünf Jahre, bis der Entwicklungspartner Bosch das erste volldigitale Steuergerät zu Versuchszwecken in Untertürkheim abliefert. Digital statt analog bedeutet vor allem weniger Bauteile, mit dem Vorteil, das Risiko von Fehlfunktionen gegen Null zu verschieben.

Die elektronischen Bauteile sind dank der Digitaltechnik nun in der Lage, Sensordaten in Millisekunden zu erfassen, abzugleichen, zu bewerten und entsprechende Regelimpulse an die Magnetventile der Bremsen zu senden. Zudem werden nicht nur die Vorderräder, sondern auch die Hinterräder in die Regelung einbezogen.


Trotz Vollbremsung auf nasser Straße behält der mit ABS ausgerüstete Omnibus (oben) seine Leitfähigkeit und Richtungsstabilität sowie einen sicheren Kontakt zur Fahrbahn. Er erreicht gute Verzögerungswerte, während der Omnibus ohne Blockierschutz (unten) über die nasse Fahrbahn schiebt, ohne die mit einer „Stotterbremse“ mögliche Abbremsung zu erreichen.


1978: Weltweit erstes serienmäßiges ABS

Lange hat es also gedauert, bis Mercedes-Benz im August 1978 als weltweit erster Automobilhersteller das Anti-Blockier-System der zweiten Generation offiziell vorstellt und ab Dezember 1978 auf Wunsch anbietet, zunächst in der S-Klasse mit einem Aufpreis von 2217,60 DM. Seit 1984 gehört ABS bei Mercedes-Benz Pkw erstmals zur Serienausstattung. Zehn Jahre nach der Ersteinführung fahren bereits eine Million Mercedes-Benz Pkw mit ABS auf den Straßen der Welt.

Auch bei den Nutzfahrzeugen übernimmt Mercedes-Benz die Vorreiterrolle. So wird bereits 1981 das ABS für Druckluftbremsen angeboten, entwickelt zusammen mit der Firma Wabco. Seit 1987 sind alle Reisebusse und seit 1991 auch alle Lkw der Marke mit ABS ausgerüstet. Ende 1990 findet das ABS auch Eingang in die Mercedes-Benz Rennfahrzeuge der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft.

25 Jahre ABS serienmäßig bei Setra

Auch bei Setra arbeitete man am ABS-System und 1984, vor genau 25 Jahren führte das Unternehmen das Anti-Blockier-System (ABS) serienmäßig in allen Reisebussen ein. Ein Fortschritt, dem eine über zehnjährige Entwicklungs- und Versuchsphase vorausging.


Dieser Aufkleber - hier am Heck eines Setra S 215 HD - wies vor 25 Jahren nachfolgende Verkehrsteilnehmer darauf hin, dass dieser Reisebus mit einem Anti-Blockier-System ausgerüstet ist.

Bereits 1970 hatte das Ulmer Traditionsunternehmen in enger Kooperation mit dem Elektronik-Hersteller Bosch mit der zukunftsweisenden Entwicklungsarbeit im Bereich Bremsverbesserung im Omnibus begonnen. Ein Jahr später - 1971 - ging der erste Setra, ein S 200, in den praktischen Versuch. Das Prinzip: Beim Bremsen sollte das Blockieren eines oder mehrerer Räder verhindert und so die Fahrstabilität auch in kritischen Situationen sichergestellt werden. Durch das Erhalten der Lenkfähigkeit sollte der Fahrer jederzeit in der Lage sein, mit dem Omnibus plötzlich auftretenden Hindernissen auszuweichen sowie den Bremsweg so gering wie möglich zu halten. 1982 demonstrierte die Marke die Wirkungsweise des ABS bei zwei- und dreiachsigen Omnibusse zum ersten Mal. 1984 wurden alle Setra Omnibusse serienmäßig mit dem System ausgestattet.


Im Setra S 200 kam das ABS-System in der langjährigen Versuchsphase zum Einsatz.


Basis für Innovationen

Die ABS-Entwicklung bleibt nicht stehen. Das gesamte Regelungssystem wird immer kleiner, leistungsfähiger und robuster. Das anfänglich typische Pulsieren des Bremspedals bei einsetzender Regelung ist heute weitgehend verschwunden. Das System dient aber nicht nur zum optimalen Bremsen unter Erhalt der Lenkfähigkeit des Wagens, sondern auch als Basis und Impulsgeber für die Antriebsschlupf-Regelung ASR, das Electronic Stability-Program ESP®, den Bremsassistenten Brake Assist, und natürlich auch für das Elektrohydraulische Bremssystem Sensotronic Brake Control SBC™.


Fotos:
Daimler AG
Kässbohrer Fahrzeugwerke GmbH
Video-Clip:
Kässbohrer Fahrzeugwerke GmbH


admin


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