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Mercedes O 317 G Überlandgelenkbus
08.04.2009 - 00:00

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Mercedes O 317 G Überlandgelenkbus

Mercedes-Benz Überlandgelenkbus O 317 G

Der O 317 kam zur IAA 1957 als erster Mercedes-Benz Bus mit Unterflurmotor und als erster deutscher Bus mit Vollluftfederung. Er war hauptsächlich für den Stadt- und Überlandverkehr konzipiert und war durch seinen hohen Komfort bei Fahrern wie Fahrgästen außerordentlich beliebt.

Gibt es ein größeres Kompliment für einen Bus als die Tatsache, dass er zuverlässig auch auf seine alten Tage noch zu begeistern weiß? Für den Überlandgelenkbus O 317 G gilt das gleich doppelt: Die Baureihe existierte schon 17 Jahre, als die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) diesen Überlandgelenkbus 1974 in Dienst stellte. Zu diesem Zeitpunkt wurde bereits seit sechs Jahren der Nachfolger des O 317 produziert, der von Mercedes-Benz konzipierte erste Standard Linienbus O 305.

Das konnte die Treue zum Beispiel der SSB zum O 317 aber nicht erschüttern. Der 1974 in Dienst gestellte O 317 G gehörte zu einer größeren Order von insgesamt 25 Bussen dieser Baureihe, die in den Jahren 1974 und 1975 geliefert wurden. Insgesamt waren es sogar gut 100 Gelenkbusse aus der Familie des O 317, die die SSB zwischen 1960 und 1976 in ihren Fuhrpark aufnahm. Die technische Entwicklung kann man an deren verschiedener Erscheinung leicht ablesen: Kamen die ersten Gelenkbusse noch viertürig und mit doppelachsigem Nachläufer in der Art heutiger Tandemanhänger, so konnten die zuletzt gelieferten Fahrzeuge bereits mit Finessen wie einem Automatikgetriebe glänzen.

Und auch heute noch schwingen sich sogar altgediente Fahrerprofis gern hinters Volant des rüstigen Oldies, dessen Luftfederung einfach Maßstäbe gesetzt hatte, an die manch heutiger Bus schon gar nicht mehr heranreichen kann: Extreme Niederflurigkeit wie heute üblich geht nun einmal zu Lasten des Federwegs.

Doch ist der ausgeprägte Fahrkomfort nur einer der Gründe, warum dem O 317 G der Stuttgarter Straßenbahnen insgesamt 16 lange Dienstjahre beschieden waren. Der Tachostand verrät, dass Akkordarbeit nicht das Metier des Busses mit dem Kennzeichen S – CD 1836 war. Gut 475 000 Kilometer stehen derzeit erst auf der in noblem Weiß grundierten Uhr. Udo Becker, der diesen Bus im Liniendienst fuhr und das historische Fahrzeug heute betreut, nennt den Grund: „Dieser Gelenkbus war vor allem im so genannten Verstärkerverkehr eingesetzt und von daher eher ein Springer als ein ausgesprochener Kilometerfresser.“
Die Luftfederung des Mercedes-Benz O 317 G



Womit dieser Bus dann natürlich erste Wahl für eine liebevolle Restaurierung war, nachdem er anno 1990 die Pensionsgrenze erreicht hatte. Schritt für Schritt restaurierten die Mechaniker der SSB-Werkstatt den knapp 17 Meter langen Überlandbus, bis er im Wesentlichen in den Ursprungszustand versetzt war.

Museumsstück im aktiven Einsatz

Heute kommt das Fahrzeug hauptsächlich im Zubringerverkehr zum Straßenbahnmuseum im Stuttgarter Stadtteil Zuffenhausen oder im Rahmen kombinierter Sonderfahrten von Straßenbahn und Bus zum Einsatz. Wir aber machen eine andere kleine Zeitreise und konfrontieren das gute Stück mit einem der typischen Einsätze von damals: Start an einem der zahlreichen Quais des Zentralen Omnibusbahnhofs, der direkt neben dem Hauptbahnhof mitten im Talkessel von Stuttgart liegt.


Mercedes-Benz Überlandgelenkbus O 317 G am Omnibusbahnhof

Die Tour , die das 10,8 Liter große und 210 PS starke Unterflur-Aggregat des öfteren auf die Probe stellte, führt den O 317 G nach dem zunächst planen inneren Zirkel der City Stuttgarts über eine steile, kurvige Rampe namens Neue Weinsteige aus der urbanen Dichte heraus.

Voll besetzt mit 153 Personen an Bord, das zulässige Gesamtgewicht von 23 000 Kilogramm also ausschöpfend, hatte der O 317 G an diesen steilen Hängen des Talkessels zu kämpfen. Zumal die sparsamen Schwaben ihn nicht mit Fünf-, sondern nur mit Vierganggetriebe geordert hatten: „Da mussten wir öfters den ersten Gang bemühen, um solche Steigungen zu schaffen.“, erinnert sich Udo Becker an die bis 1990 dauernden regulären Fahrten im harten Liniendienst.

10,8-Liter-Motor mit Fernverkehrsqualitäten

Doch ist der O 317 für ein Kind seiner Zeit beileibe nicht kümmerlich motorisiert. Denn das unterflur montierte und über jeweils eine Klappe sowohl von oben als auch von der rechten Seite des Busses aus zugängliche Direkteinspritzer-Aggregat mit 10,8 Liter Hubraum arbeitete nicht nur in den Bussen, sondern auch in den Mercedes-Benz Lkw dieser Epoche. Und selbst mit deren maximalem Lastzuggewicht von 32 Tonnen kamen diese hubraumstarken Motoren mit wahlweise 185 oder 210 PS glänzend zurecht. Dass Hubraum so schnell durch nichts anderes als Hubraum zu ersetzen ist, zeigt sich vor allem bergab auch beim O 317 G in punkto Motorbremse: Entsprechend zurückgeschaltet, hält die Motorbremse den Gelenkzug auch bei wendigen Abfahrtsläufen stets souverän in Zaum.


Der Unterflurmotor

Souverän meistert der Oldie auch die vielen engen Kurven, mit denen sich das Stuttgarter Straßennetz die Hänge des Talkessels hinaufschlängelt. Denn im Gegensatz zu den heutigen Schubgelenkbussen, die in Kurven fast so raumgreifend wie ein Sattelzug gefahren werden wollen, ist beim O 317 G die mittlere Achse angetrieben und die hintere Achse zwangsgelenkt ausgeführt. So kommt es, dass die hintere Achse den angetriebenen Rädern auf den Millimeter genau spurtreu hinterherläuft und der O 317 G somit als äußerst wendiger Geselle gelten kann.

Dahinter steckt ein besonderes Bauprinzip, wie ein Blick von unten – aus der Werkstattgrube – zeigt: Fast wie ein normaler Anhänger ist der vom Karossier Vetter in Fellbach bei Stuttgart gebaute und wie das Vorderteil selbsttragend konzipierte Nachläufer per Deichsel an den Motorwagen angehängt. Auch der gesamte Aufbau kommt von der Karosserieschmiede Vetter. Mercedes-Benz in Mannheim lieferte die für den Einsatz als Gelenkbus bestimmten Chassis grundsätzlich als Windlauf nach Fellbach zu Vetter, um dort den Bus komplettieren zu lassen.


Mercedes-Benz Überlandgelenkbus O 317 G (von oben)

Unterflurkonzept für viel Platz im Inneren

Heraus kam dabei ein sehr fahrgastfreundlicher und geräumiger Bus, dessen gesamte Länge dank Unterflurkonzept nutzbar war und dessen Boden fast durchgängig plan verlief: Nur im Bereich der Antriebsachse verrät eine sanfte Wölbung des Flurs, dass ein mittenmang postierter Unterflurmotor und eine angetriebene mittlere Achse ohne solch ein Zugeständnis nicht zu haben sind. Konsequent weist der O 317 G im übrigen der Technik auch sonst das Kellergeschoss zu und ist deswegen mit Klappen aller Art reich ausgestattet : Rechter Hand befindet sich zwischen Vorderachse und mittlerer Tür ein nach oben schwingendes und per Gasdruckfeder stabilisiertes Portal, das den Weg zu den Zylinderköpfen des 10,8-Liter-Motor frei gibt.


Mercedes-Benz Überlandgelenkbus O 317 G - Innenraum




Direkt unter dem dunkelblau grundierten, silbrig schimmernden Mercedes-Benz Emblem an der Front sitzt eine weitere Klappe fürs Nachfüllen von Wasser, die zudem den kleinen Schalter beherbergt, mit dem der Fahrer den Bus von außen öffnet. An der linken Flanke des Gelenkbusses findet sich schließlich nicht weniger als ein halbes Dutzend Klappen, über die der Tank, die zwei Standheizungen und deren Tank sowie die Elektrik und Batterien zugänglich sind.

Mit den Standheizungen und der Elektrik hat es für den Fahrer seine besondere Bewandtnis. Die Elektrik zum Beispiel sitzt direkt zu seiner Linken, der Kasten baut etwas ins Innere des Busses hinein und bringt es so mit sich, dass der Fahrersitz etwas nach rechts rücken muss. Weshalb dann jeder, der zum ersten Mal mit diesem Bus fährt und eine linksbündige Position gewöhnt ist, anfangs automatisch ein paar Zentimeter zu weit links fährt. Für den Schalthebel hat das zudem zur Konsequenz, dass er gekröpft daherkommen muss, um nicht mit dem Sitz ins Gehege zu kommen.

Die Standheizungen schließlich braucht es, um bei kühlem Wetter auch den mittleren und hinteren Teil des Busses angenehm zu temperieren. Sie allerdings sind potent ausgelegt und nur in drei Positionen schaltbar (voll, halb oder aus) und verlangen vom Fahrer ein gewisses Gespür: „Wenn es einer da zu gut gemeint hat, konnte es für Gummistiefel schon mal kritisch werden“, lautet jedenfalls die Erfahrung des Busfahrers Udo Becker.
Wasserbehälter und Schalthebel




Schaltung für Webasto-Heizung

Technik zum Anfassen

Orgelspieler hätten ihre helle Freude hinterm Volant des O 317 G. Denn all die Manuale, Register und Pedale des Fahrerarbeitsplatzes halten die Gliedmaßen des Mannes hinterm Steuer nicht zu knapp auf Trab. Mächtigstes der Elemente ist das raumgreifende Lenkrad mit einem aufgesetzten zusätzlichen Chromring, der für die Betätigung der Hupe sowie der Blinker zuständig ist. Nicht minder imposant ragt unten aus dem Bodenblech das Trittplatten-Bremspedal empor, über das die Druckluft-Zweikreisbremse aktiviert wird. Gewaltig reckt sich zur Linken schließlich der spazierstockgroße Hebel für die klassische Ratschenbremse, die die Bezeichnung „Handbremse“ zu Recht trägt: Sie anzuziehen ist echte Handarbeit. In krassem Gegensatz dazu steht wiederum der Hebel für die so genannte Haltestellenbremse, die als Federspeicher auf die Vorderachse wirkt: Der hat seinen Platz am Lenkstock und fällt nicht größer aus als eine halbe Zigarette.


Mercedes-Benz Überlandgelenkbus O 317 G - Armaturenbrett

Für die Betätigung der Motorbremse hält der O 317 G schließlich unten am Bodenblech einen kleinen, traditionell mit dem Absatz betätigten Knopf vor, in dessen Nähe zudem eine weitere Vorrichtung ähnlicher Art, aber von weitaus ansehnlicherer Bauhöhe angebracht ist: Dieser kleine Turm verlangt ebenfalls nach Kontakt mit dem Absatz des Fahrerschuhs. Und zwar immer dann, wenn die auf Öl basierende Zentralschmierung des O 317 G in Aktion treten soll. Eine gelbe Lampe in der Instrumententafel zeigt dem Fahrer , wann es für solch einen Eingriff an der Zeit ist.

Charme im Detail

Wann der Luftdruck in den zwei Bremskreisen einen kritischen Wert erreicht hat, darüber gibt dem Fahrer ein circa 30 Zentimeter langer Stab Auskunft, der bei korrektem Druck waagrecht oben auf dem Armaturenbrett ruht. Sobald jedoch der Druck über Gebühr fällt, richtet er sich automatisch auf und springt mit seiner warnend rot lackierten Spitze direkt ins Gesichtsfeld des Mannes am Volant. Und der tut gut daran, diese Warnung ernst zu nehmen. Denn über eine Federspeicherbremse, die dem ungebremsten Fahren in solchen Fällen automatisch einen Riegel vorschiebt, verfügt der O 317 G noch nicht.


Ebenso war es zu seinen Zeiten noch undenkbar, den Motor einfach – wie heute üblich – mit einer simplen Drehung des Zündschlüssels abzustellen. Er teilt auch nicht die fixe und damals im Lkw gängige Praxis, dafür die Motorbremse im Leerlauf heranzuziehen. Dafür gibt es einen weiteren kleinen Hebel, der sich dem Auge unsichtbar auf Kniehöhe im Lenkstock versteckt und ertastet sein will: Dieses Instrument erst bringt den 10,8-Liter-Reihensechszylinder des O 317 G zum Schweigen.


Mercedes-Benz Überlandgelenkbus O 317 G - Heckansicht

Technische Daten
Motor:Wassergekühlter Direkteinspritzer OM 346 h, Sechszylinder-Reihenmotor
Bohrung/Hub: 128/146 mm
Hubraum: 10 810 cm3
Leistung: 210 PS bei 2200/min

Kraftübertragung:
Getriebe:Viergang-Schaltgetriebe
Kupplung:Einscheiben-Trockenkupplung
Fahrwerk:
Vorderachse: Starre Faustachse , Längs- und Querlenker
Je ein Luftfederbalg links und rechts
Antriebsachse:Starre Banjoachse, Längslenker unten, Schräglenker oben
Je zwei Luftfederrollbälge auf jeder Seite
Hintere Achse:Gelenkte BPW-Achse
Bremsen:Zweikreis-Druckluft-Bremsanlage mit Trittplattenventil
Motorbremse mit Trittplattenventil gekuppelt
Haltestellenbremse Federspeicher auf die Vorderachse wirkend
Handbremse als Ratschenbremse
Maße und Gewichte:
Gesamtlänge:16.715 mm
Länge des Motorwagens:9.750 mm
Gesamtbreite:2.500 mm
Gesamthöhe:3.100 mm
Radstand Motorwagen:5.250 mm
Radstand Nachläufer:4.400 mm
Lichte Höhe Mittelgang: 2.030 mm
Wendekreis:24.000 mm
Zulässiges Gesamtgewicht:23.000 kg
Leergewicht (inkl. Fahrer):11.950 kg
Beförderungskapazität:
Passagiere gesamt:152
Sitzplätze Motorwagen:38 (mit Fahrer)
Stehplätze Motorwagen:53
Sitzplätze Nachläufer:29
Stehplätze Nachläufer:33


Fotos und Text:
Daimler AG


admin


gedruckt am 28.03.2024 - 21:12
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